Sogar der Nikolaus schaute beim Abschiedsfest für Lydia Fried vorbei. Foto: Petra Pabst
Sogar der Nikolaus schaute beim Abschiedsfest für Lydia Fried vorbei. Foto: Petra Pabst

 

Wie Lydia Fried 43 Jahren lang den Friedrichsthalern half

Das Helfen ist für sie nicht nur ein Job, es ist ihr Leben. Lydia Fried hat mit der Gemeinwesenarbeit vielen Menschen in Friedrichsthal geholfen. Nun geht sie in Rente.

Wenn man nach 43 Berufsjahren in Rente geht, freut man sich normalerweise auf den Ruhestand. Lydia Fried jedoch sieht mit gemischten Gefühlen ihrem neuen Lebensabschnitt entgegen. Die 65-jährige Sozialarbeiterin war seit September 1979 bei der Gemeinwesenarbeit (GWA) des Caritasverbandes in Friedrichsthal tätig. Am 20. Mai hieß es nun: Abschied nehmen. „Das fällt mir tatsächlich nicht ganz leicht“, gibt die beliebte Frau zu. „Ich hatte in all dieser Zeit keinen normalen Bürojob, sondern hatte immer mit Menschen zu tun. In so vielen Jahren wächst man zusammen und baut Beziehungen auf.“

In vier Jahrzehnten hat Lydia Fried vieles bewegt. Angefangen hat sie kurz nach der Einrichtung der GWA in Friedrichsthal „auf der Kolonie. Damals lebten Menschen mit geringem Einkommen dort in menschenunwürdigen Verhältnissen - es gab es vielfach keine Bäder oder Toiletten in den Wohnungen. Zehn Jahre lang kämpften wir mit gemeinsam der Stadt bei Behörden und Ämtern um Fördermittel und Genehmigungen, um die Wohnungen dort zu sanieren und wohnlicher zu machen. Es hat sich gelohnt“, erzählt sie rückblickend. Bei ihrer Arbeit versuchte sie stets, den Fokus nicht auf die Benachteiligung oder auf schwierige Schicksale zu legen. „Ich habe vielmehr immer den Blick darauf gerichtet, was wir alles gemeinsam geschafft und geschaffen haben. Nicht auf die Defizite der Menschen kommt es an, sondern auf die Talente. Jeder Mensch hat Fähigkeiten, die gilt es zu sehen und zu fördern. Das ist der Grundsatz bei unserer Arbeit bei der Gemeinwesenarbeit“, betont die Illingerin, die sich aber - wie sie zugibt - in Friedrichsthal durch die langjährige Arbeit fast heimischer fühlt, als zuhause.

Nach dem Einsatz auf der „Kolonie“ folgte bald die nächste Aufgabe: Die Aufwertung der Wohnverhältnisse und den Aufbau einer Gemeinschaft für die Bewohner in der Feldstraße. Dort wurde 1998 ein weiteres GWA-Büro eingerichtet - mittendrin im Brennpunkt, wo sie sich wieder zurück gesetzt fühlte in die Anfänge der Arbeit. „Wichtig ist stets, zu unterstützen, was die Bewohner selbst verbessern und machen wollen. Ob das die Verschönerung des Umfeldes ist oder der Bau eines Spielplatzes. Eigene Ideen und Wünsche gemeinsam entwickeln und umsetzen, hierfür entsprechende Kontakte knüpfen und Potential bündeln - das war und bleibt unsere Aufgabe. Oft musste ich den vielen Ideen förmlich hinterherlaufen“, erzählt sie lachend. „Vorgefertigte Lösungen gab und gibt es nicht. Ziel ist es, gemeinsam Lösungen zu finden. Das ist eigentlich auch stets gelungen - mit dem gesamten GWA-Team“, betont sie.

Sie ist keine Alleinkämpferin, das erwähnt sie immer wieder. Ein konstantes Team von vier, fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zieht stets gemeinsam am gleichen Strang. Später wurde der Wunsch der Familien nach gemeinsamen Ausflügen und Freizeiten umgesetzt. Schöne gemeinsame Erlebnisse verbinden - sowohl Familien als auch Nachbarn. Niemand sollte das Gefühl haben, benachteiligt zu sein. Lydia Fried ist den Menschen stets auf Augenhöhe begegnet, egal, ob Klient oder Behörde.

Rückblickend findet die kleine Frau mit dem grauen Haar, dass sie während ihrer Dienstzeit gemeinsam zwar vieles auf die Beine gestellt haben, „aber insgesamt ist es uns nicht immer gelungen, die Folgen der Negativ-Entwicklung in den letzten Jahrzehnten aufzufangen“. Zu den bisherigen Aufgaben kamen vor Jahren noch die Sozialberatung und weitere Betreuungsaufgaben dazu. Durch den Zuzug von Kriegsflüchtlingen entstand hier ein neuer Schwerpunkt - bis heute ein wichtiger Teil der GWA-Arbeit. Fried resümiert: „Die Armut hat sich in den vergangenen vier Jahrzehnten stetig verstärkt und ausgedehnt. Corona und die Flüchtlings-Welle haben viele Missstände und Defizite aufgedeckt, aber geändert hat sich leider nichts.“ Die Hände wird die Mutter von drei erwachsenen Kindern nun aber nicht in den Schoß legen. „Ich bin jeden Tag gerne zur Arbeit gekommen und werde mich auch künftig für Menschen engagieren. Es gibt ein Hilfsprojekt in Ruanda, das ich gerne unterstützen würde. Und ganz bestimmt werde ich auch immer wieder nach Friedrichsthal kommen, wenn ich gebraucht werde und schauen, wie es den Menschen hier so geht.“
Zum Abschiedsfest am zurückliegenden Freitag kamen viele Dutzende Familien, Freunde und Kinder zur alten Schule nach Friedrichsthal, wo die GWA ihren Hauptsitz hat. Der Gabentisch bog sich unter der Last von Blumen und Abschiedsgeschenken. Sogar der Nikolaus unterbrach seine Sommerpause und schaute ausnahmsweise in dieser Jahreszeit vorbei, um aus seinem goldenen Buch vorzulesen, was Lydia Fried in den Jahren ihrer Tätigkeit alles bewegt hat und einige symbolische Abschiedsgeschenke zu überreichen. So war es trotz des Anlasses ein fröhliches Fest. Lydia Fried blickt optimistisch in die Zukunft: „Ich habe das Gute in den Menschen kennen lernen dürfen. Dieses Gefühl bleibt im Herzen.“

Artikel Saarbrücker Zeitung 30. Mai 2022 lesen

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